Heldenreise

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„Humor is tragedy plus time“ (Mark Twain).

Sehnsucht nach Zeit
Zeit ist der Stoff, der mit Veränderung in meinem Leben anknüpft. Leicht und angenehm zu tragen, wie ein sommerliches Seidenkleid, schmiegt sich die Zeit in meine Lebensuhr. Sie gehört wie eine zweite Haut zu mir. Nur habe ich sie nie beachtet, mich bislang mit Zeiten der Veränderung eher schwer getan. Wie ein kratziger Jutesack, über meiner Schulter, schwer auf meinem Rücken lastend, den ich mir immer wieder aufs Neue selbst überwarf. Ich schleppte den Sack von A nach B und wusste nie recht was damit anzufangen. Irgendwie ahnte ich, was sich darin verbarg, was sich tief in der Unscheinbarkeit des braunen Gewebes eingenistet hatte. Mein Dämon. Nun schon so ausgewachsen, dass er keinen Platz mehr in meinem Innern fand, hatte er sich im Jutesack über meiner Schulter verkapselt. Er wollte wachsen, er wollte raus, er wollte gesehen werden.
Das Tragische an dieser Schlepperei, dass ich selbst, ein Teil von mir, im Dämonensack saß, blieb mir lange Zeit verborgen, doch ich spürte immer eine Sehnsucht, eine Sehnsucht die Zeit zu haben, diesen Sack auf meiner Schulter ablegen zu können. Heute ist es mir gelungen, denn ich habe Zeit bekommen, wie ein Geschenk, dass allerdings scheiße verpackt daher kommt. Denn diese Zeit hat Konsequenzen für uns alle. Komisch, gerade zu dieser Zeit, komisch, dass komisch hier nicht lustig ist. Das Wort und die Zeit zeigen ihre zwei Seiten. Die Welt scheint im Wandel oder jedenfalls verändert sich in dieser heutigen Zeit gerade diese Gesellschaft, in die ich 1985 hinein geboren wurde. Veränderung und Zeit scheinen auch im größeren Kontext, auf der soziologischen Makroebene, gerade den Jutesack voll Dämonen unserer Gesellschaft öffnen zu wollen. Ein Virus hat das öffentliche Leben im Griff. Der Corona – Dämon. Es steht schon viel und es wird wohl noch viel mehr über diesen geschrieben werden. Ich hatte ihn jedenfalls. Habe ihn freundlich mit meinem Körper bewirtet. In Fieberträumen stellte ich mir vor, wie ich ihn mit dem Feuer eines Drachen niederbrannte. So jedenfalls fühlte sich meine Lunge danach an. Aber das Virus ist hartnäckig. Nicht nur meine Lunge, auch den Jutesack der Gesellschaft hält er noch besetzt. All die Zweifel an unserem System, all die leeren Versprechen, sie treiben nun ihre Dämonenkrallen in die unteren Schichten des Sackes. Die Wirtschaft, die diesen bislang den weitesten Weg geschleppt hat, sie scheint unter diesem Gewicht nun zu ächzen, ob sie wohl zusammenbricht?
Ich für meinen Teil hab es bis hier her geschafft, jedoch auch nicht ohne Zusammenbruch. Ich hab meinen Dämon aus dem Sack gelassen, während meiner Heldenreise. Was du liebst, lass frei, kommt es zurück gehört es dir. Der wohl erste Kalenderspruch, den ich jetzt wirklich zu schätzen weiß. Denn so ist es nun gekommen, ich hab meinen geliebten Dämon frei gelassen und er ist zurück gekehrt, ich konnte ihn so zu meinem machen. Endlich habe ich mir selbst so die lang erhoffte Anerkennung geben können. Ich bin wieder eins. Ich hab die kratzige Jute endlich abgelegt und freue mich über das leichte Seidenkleid. Ich hab die Tragik erkannt, doch so ganz ist der Humor noch nicht eingezogen. Da brauche ich wohl noch etwas Zeit. Die Traurigkeit hängt noch wie der Geruch des alten Sackes über der Szene. Der Szene meines Lebens. Ich will ein paar Sätze dazu aufschreiben, vielleicht verfliegt der Geruch dann besser. Denn das Schreiben lässt die Zeit vergehen, lässt sie wie im Fluge vergehen.

Mein Dämon
Auf meiner Heldenreise habe ich zuerst meine Heldin kennengelernt. Doch zuhause, in alten Mustern angekommen, merke ich, wie flüchtig dieses Kennenlernen doch war. Um wie viel besser ich mit meinem Dämon kann. Deshalb beginne ich diese Reise der Reflexion auch mit der Beschreibung des Dämons. Denn mein Dämon kehrt jetzt, nach meiner Heldenreise, mit voller Macht zurück, er versucht kalten Kaffee aufzuwärmen und mir klarzumachen, dass dieser doch ganz lecker sei. Viele Metaphern nutzt er, um mich ran zu locken. Ein ums andere mal laufe ich die Ehrenrunde. Hol die Tasse aus dem Schrank. In diesen verwunschenen Stunden erklärt mir mein Hirn, dass dies die Bürde meines Lebens sei, „boy you gonna carry that weight, a long time“. Es versucht kognitive Dissonanzen zu überwinden, Sinnhaftigkeit zu erzeugen. Doch selbst die Beatles wussten, dass irgendwann mal Schluss sein musste. Also möchte ich meinen Dämon noch näher betrachten, ich will ihn genau erkennen, nicht er soll mich hervor holen, ich möchte ihn ein ums andere mal enttarnen.
Er ist ein vollkommen nach Außen gerichtetes Wesen, der Teil meines Organismus, der sich abkehrt von allen inneren Themen, der jedes Herzdenken blockiert. Er will alles aufs Außen Schieben. Seine Taktik ist gerissen, er führt mir alle Verletzungen vor, die ich im Außen erlebt habe. Führt mich zurück in schwierige Situationen, ins Scheitern und nimmt mir jeden Mut. Er schürt die Verzweiflung sich an und durch andere Menschen zu verletzen. Er gaukelt mir vor, dass ich durch besseres Verhalten, durch mehr Anpassung an mein Gegenüber, durch Kümmern und Zuhören, diese Verletzungen wieder gut machen kann. Auch mein Gegenüber hat schließlich Verletzungen erfahren und um den Kreis zu brechen, muss ich nun diese Verletzungen für alle ertragen. Na klar. Er verführt mich dazu mich vollkommen in meinem Gegenüber zu verlieren. Ich zähle nicht mehr, ich bin vollkommen aufgelöst, existiere nur noch in der Spiegelung der Augen meines Gegenübers. Damit erfülle ich dann meine Existenz, so kann ich nicht verletzt werden. Ein großer Schutz, passend zu meinem Körperpanzer. Dieser hat mich aufrecht gehalten, mich festhalten lassen, an meinem allzu flüchtigen Dasein. Doch diese ganze Verkrampfung, mein körperliches und mein mentales Schlachtfeld, so sehr es mich auch in jeden noch so ungleichen Kampf hat ziehen lassen, es hat auch Spuren hinterlassen. Spuren des Verschleißes, the price to pay.
So trug es sich zu, dass mein Dämon volle Stärke erlangte, er sprengte den Sack und saß mir mit vollem Gewicht im Kreuz. Ein Jahr lang. Im Sommer 2018 versuchte ich im Moment des ersten mentalen Zusammenbruchs die Reißleine zu ziehen. Ich versuchte mich aus den damaligen Lebensumständen zu befreien. Doch ich hatte nicht mit der Macht meines Dämons gerechnet. Kaum hatte ich meine mich knechtende Arbeitsstelle gekündigt, kund getan all dies nicht mehr mit mir machen zu lassen, kaum war ich geflohen in die kühle Zuversicht meines Zuhauses, ließ er mich zweifeln. Zweifeln an meiner Entscheidung, er führte mich an der eigenen Nase herum. Ich hatte entschieden mich vom Pferdehof zu trennen, ich hatte entschieden, mich nicht mehr um Menschen kümmern zu müssen, die es lernen müssen, sich um sich selbst zu kümmern. Ich hatte entschieden mich vom Gift fremder Beziehungen zu lösen, die nicht gerettet werden konnten. Die nicht gerettet werden wollten. Ich hatte entschieden endlich einen Mehrwert aus meinem Schaffen ziehen zu wollen. Doch es kam noch viel schlimmer. Ende 2018 hatte ich mich wieder voll vom Dämon einspannen lassen, ein altbekanntes Zugpferd lächelte mir müde im Spiegel zu.
Ich überforderte mich aufs neue, ab aufs Feld, abackern und abrackern. Meinen Körper, meinen Verstand mit Themen vernebeln, die nicht meine waren, es nie sein werden. Ich merkte kaum, wie mich meine Lebenskraft verließ. Ich merke nicht, wie meine Liebe litt. Und dann kam das Ende. Mein Körper war es schließlich, der sich heldenhaft opferte, damit mein System, ich, endlich verstand: es reicht, hier kommt er, der point of no return. Ab hier änderte sich mein Leben, für immer. Die Zeit die verstrichen war, entwickelte nun ihren Zauber, sie veränderte mein Leben von Grund auf.

Stufen
„Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden,
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!“
Hermann Hesse

So stand der Abschied in dem Abbild meiner Wirbelsäule klar ersichtlich: Bandscheibenvorfall. 3 Stück, davon einer der ganz unten L5/S1 schwerwiegend, den Rückenmarkskanal einnehmend. Meine Spinalnerven hatten einiges erlitten, der Schmerz, vorwiegend in meinem rechten Bein angekommen, war ohrenbetäubend, er lähmte mich zeitweise, ließ mich stolpern, humpeln und schlurfen. Die Diagnose der Ärzte: sofort operieren lassen, Beruf wechseln, lange Reha, eventuell in 12 Monaten wieder reiten. Sogleich erfassten mich die 5 Stufen der Trauer, sie erfassten mich noch im Schock der Erkenntnis.
Ohne, dass diese Erkenntnis also meinen Verstand erreichte, schwappte meine instabile Gefühlslage in die erste Phase: des Leugnens. Mein Dämon war bereit, er breitete die Flügel über meinen Verstand und ließ mich blind zurück. Ich stolperte so einige Zeit im Dunkeln meines schmerzlichen Alltags umher. 6 Wochen habe ich nach der Diagnose liegend versucht der Lage Herr zu werden, doch das waren 6 Wochen der Ignoranz. Ich habe selbst liegend weiter gearbeitet, Hand in Hand mit meinem Dämon, Telefonate geführt, etliche Stunden meines Lebens gesprochen, leere Worte an andere Menschen gerichtet, die selbst blind in ihrer eigenen Dunkelheit stochern. Nach 6 Wochen, bin ich wieder voll zurück in den Pferdehof Alltag. Habe voller Verzweiflung versucht meine Abwesenheit zu kompensieren, so unendlich viele Stunden mit Gesprächen verbracht, so viel Schmerz mit noch mehr Tabletten versucht zu verdrängen. Und dann kam die Depression und mit ihr der Zorn, wie eine manische Verstimmung. Während der Zorn am Tage über mich schwappte, wie eine hilfreiche Welle, auf der ich endlich so richtig mitschwimmen konnte, ließ mich des Nachts die Depression ertrinken. Was nachts wie ein Gespenst an meinem Bettende lauerte, wurde tags zum Handtuch auf der Heizung.
Der Zorn richtete sich maßgeblich gegen mich selbst, aber auch gegen jede Person, die mich aus meiner Sicht nicht richtig unterstützte. Das war ja vorallendingen ich selbst. Ich selbst fügte mir Tag um Tag großen Schaden zu, doch das begriff ich erst als es schon fast zu spät war. Der Zorn hielt ein, zwei lange Monate. Dann kam eine kleine Auszeit, ein Urlaub in Italien, dort blitzte die goldene Spur meiner Heldin kurz auf, glättete die Wogen der Wut. Was blieb war die Traurigkeit, es wurde mir still ums Herz. Ich ahnte, dass nur die Zeit Veränderung bringen würde, doch ich konnte die Augen nicht öffnen, nicht erkennen, wann und wo diese Veränderung mich erwarten würde.
Nach der Reise folgte die Akzeptanz: eine OP war unumgänglich. Nun, ein beschwerlicher Weg. Die OP im August 2019 kennzeichnete den Beginn einer weiteren Runde der Veränderung, der Veränderung meines Körpers wie ich ihn bisher kannte. Der absolute cut.
So wie mir in den Rücken geschnitten wurde, etwas entfernt wurde, so wurde mir klar, dass da etwas raus wollte. Es war da etwas rausgebrochen, weil mein Körper den Druck nicht mehr halten konnte, es fehlte mir an dieser Stelle die Kraft meinen Rücken zu stützen. Mein Dämon hatte mich nicht mehr geschützt, er hatte mich schutzlos zurück gelassen. Ich hatte in diesem Jahr meine geliebte Hündin nach 14 Jahren zusammen sein, gehen lassen müssen, ich hatte kurz darauf mein treues Pony nach 21 Jahren auch ziehen lassen müssen. Beide waren nun nicht mehr da, kein Tier mehr, um was ich mich kümmern könnte. Ich hatte mein Talent, mein Körpergefühl, die Möglichkeit mit den Bewegungen eines Pferdes zu verschmelzen, verloren. Alles was mir blieb war ein überwältigender Schmerz im Herzen und im Rücken. Das war dann wohl die volle Entfaltung der Depression. Noch nie zuvor habe ich mich so verloren und elend gefühlt. Ich dachte immer für so ein Gefühl müsste es einem auch wirklich schlecht gehen, da müsste ich schon in der Gosse liegen und nichts mehr haben. Doch weit gefehlt, ich lag in der Gosse, das geht auch im eigenen Bett, das geht auch zuhause, in der imaginären Sicherheit einer mittelschichtigen Existenz, die an sich ganz gut abgesichert erscheint.
Jetzt bin ich geläutert, um eine wichtige Erfahrung reicher: nichts äußeres schützt mich davor vollkommen ins Bodenlose abzustürzen. Und genau diese Erkenntnis ließ mich meinen Dämon erkennen: er wendet sich ans Außen, er sucht dort die Zuflucht. Doch nichts und niemand fängt mich auf, wenn sich die Schleusen der Existenz öffnen und allen Dreck ans Tageslicht spülen. Wenn ich wehrlos im Bett liege und erkenne, dass ich mir selbst keine große Hilfe war, bislang. Das macht ihn zum Dämon, diese Täuschung, die einen erst in der Hölle erfasst.
Was mir nun fehlt ist die Übung. Mir fehlt die Übung mich um meine Heldin zu kümmern. Mich um die Seite in meinem Selbst zu kümmern, die mein Inneres anerkennt, die Selbstliebe als höchsten Wert setzt. Es klingt simpel, ja banal. Wieder ein Kalenderspruch. Jedoch ergibt sich diese Einsicht genauso so simpel aus meinem Lebenslauf. Diesen Zeitstrahl, der meiner Existenz einen Rahmen gibt, ich sah ihn vor mir auf meiner Reise ins

Mysterium
Als Kind lernte ich maßgeblich eines: auf meine Mutter aufzupassen. Sie hat auch nie gelernt auf sich selbst aufzupassen. Klar, sonst hätte sie mich nicht gebraucht. Ich kann nur erahnen wie weit das in meiner Familie zurück geht, diese Frauen, die sich stets um ihr Umfeld kümmerten, die durchhielten, durchmachten und durchzogen, egal was mit ihnen selbst passierte. Ich ahne, dass es was mit dem Krieg auf sich hat, mit der Geschichte meiner Familie, die auch lange vor meinem Dasein schon umherzog, nie irgendwo ankam und die die Vertriebenen waren. Ich glaube das nennt sich epigenetische Prägung. Jedenfalls war es meine Mutter, die den direkten Einfluss auf mein Aufwachsen hatte. Und sie brauchte mich mehr, als ich sie gebraucht habe. Ich hätte wohl gut eine Portion eigene Entwicklung, Raum für meine eigenen Bedürfnisse und Emotionen, gebrauchen können. Dazu kommt ein ungutes Erlebnis, ein Trauma. Meine Mutter war Zeit meines Lebens in ungesunden Beziehungen zu Männern verwickelt, die sie nicht liebte. Sie spielte immer und immer wieder eine misslungene Kindheitsbeziehung durch. Bis sie an einen echten Dämon gelangte. Und er schlug sie, er warf sie wie eine Puppe von Wand zu Wand, er zerquetschte sie in seinem unbändigen Hunger nach Gewalt. Ich stand da, ich warf noch ein Buch, das ich noch von meinem Zimmer mitgenommen hatte. Sie hatte versprochen ihn nicht mehr reinzulassen. Doch dieses Versprechen war nun gebrochen. Denn ich hatte Schreie gehört, von nebenan, aufgeschreckt, rannte ich rüber. Ich sah die Gewalt, ich sah das Elend und ich warf mit aller Kraft das Buch. Ich weiß nicht, ob ich ihn traf. Jedenfalls ließ er ab von ihr und Griff nach mir. Ich konnte mich aus meiner Jacke befreien und erreichte die Haustür, ich rannte über den Hausflur rüber zu meiner Tante. Sie öffnete sofort, sie rief die Polizei und ich war getrieben von der Vorstellung meine Mutter allein gelassen zu haben, mit dem Mann. Also ging ich wieder in die Höhle des Dämons, er schrie und schlug immer noch auf sie ein. Sie war mittlerweile nicht mehr wirklich anwesend. Schützte nur noch ihren Kopf mit ihren Armen und ansonsten schien sie kraftlos, schlaff und wehrlos. Ich versuchte ihn noch abzuhalten, doch mit einer Armbewegung schüttelte er mich gegen die nächst beste Wand ab. Endlich sah ich das Blaulicht durch den Flur zucken. Meine Mutter lag im Hundekörbchen, völlig weggetreten. Meine Erinnerung setzt hier etwas aus. Ich weiß nur noch, dass er von den Polizisten raus gebracht wurde, er war ganz ruhig und klar. Meine Mutter zeigte ihn nicht an, wir sprachen nie wirklich darüber. Das war der Tag an dem mich mein Dämon mitnahm, weit weg von mir selbst trug er mich mit seinen Schwingen und jegliche innere Gefühlslage ausblendete. Die Tore meines Mysteriums wurden für gute 20 Jahre verschlossen. Meine Heldin war nie richtig da gewesen, sie hatte nie Raum bekommen sich zu entwickeln. Mein Körper war bereit einen Panzer anzubringen, der alles im Inneren hielt, der nichts an mich ran ließ, doch der Druck an die Tore des Mysteriums wurde immer größer. Das Bedürfnis, in Gestalt meiner Helden, sich zu befreien, frei zu sein von den Erlebnissen und in Freiheit leben zu können. Dieses Bedürfnis zog 20 Jahre eine innere, selbstzerstörerische Schleife.
Ich konnte diese Schleife nun deutlich nachvollziehen, beziehungsweise ich erkenne, dass dies der Grund ist, weshalb ich seitdem meinem äußerlichen Schaffen alle Kraft und Aufmerksamkeit gewidmet habe. Im Inneren herrschte der Dämon, blockierte alles und so wandte ich mich an meine Arbeit, opferte alles diesem Tun. So dass ich am Ende eines jeden Tages, wie eine leere Hülle zu Bett fiel. Des Nachts quetschten sich jahrelang Phasen der Schlafparalyse in die dringend gebrauchte Erholung. Kleine Warnschüsse, dass etwas so gar nicht in Ordnung ist. Ich habe diese Schüsse ignoriert, bis meine Bandscheibe rausgeschossen kam. Jetzt erst merke ich, der Körperpanzer passt schon lang nicht mehr, der Schutz des Dämons ist zur Last geworden. Die Zeit tickt und ich habe mich auf die Reise begeben, es ist Heldenzeit, it is time to change.

Heldin
Fast jeden Neuanfang, den ich bislang gewagt habe, wurde durch Krankheit vereitelt. Bis zu meiner Heldenreise im März 2020. Im Mysteriums meines Unbewussten, da brach die Tür, hinter der die innere Schleife so lang verschlossen war, auf. Ich lag gekrümmt auf meiner Matratze und weinte, ich ließ all den Schmerz und die Verzweiflung zu, die ich hätte spüren müssen an diesem Abend vor 20 Jahren. Ich ließ allem freien Lauf und fand keinen Ausweg. Ich war wieder zurück, spürte das Buch in meiner Hand. Doch diesmal konnte ich nicht werfen. Diesmal passierte etwas wunderbares, ich bekam Hilfe. Die Hilfe, die Zuneigung, den Trost, den ich als kleines Mädchen gebraucht hätte. Zuerst helfende Hände, die meinen Rücken berührten, mich beruhigten. Dann, leicht wie ein Windhauch wurden mir die Haare aus dem Gesicht gestrichen und eine sanfte Stimme fragte mich, ob alles in Ordnung sei, ob ich etwas brauchen würde. Das war alles, was ich brauchte.
Ich bin Kathrin und Andreas für immer dankbar. Ihr seid ein entscheidender Teil meiner Befreiung.
Danach war ich wirklich befreit. Die höchste Prüfung, ich begegnete meinem Alptraum mit einem Lachen, endlich war der Humor da. Die höchste Prüfung war ich selbst. Diesmal war es komisch – lustig.
Ich trabte lässig in die wunderschöne Welt, die noch viel weiter, viel tiefer unten auf mich wartete. Jene Welt, die ich bislang nur im Rausch verschiedener Halluzinogene erreichen konnte. Eine Phantasiewelt voller Farben, Weichheit, Freude und Liebe. Hier konnte ich weiter meinem Herzen folgen und endlich sehen, die Blindheit meines Dämons hatte mich freigegeben. Ich sah, dass ich mich selbst all die Jahre angeklagt hatte, ich sah die verschmähte, die verkannte Jezebel, meine Heldin, wie sie sich endlich Zeit nahm, ihre Wunden zu heilen, ihrem inneren Ruf nach Freiheit zu folgen, ihre Geschichte endlich selbst zu schreiben.
Meinen Dämon, meinen Drachen, konnte Jezebel auch einfangen. Wenn sie mal schnell irgendwo hin muss, nimmt er sie mit. Sie haben eine gute Vereinbarung getroffen. Ich konnte mich mit meinem Kindheitsdrachen versöhnen und ich konnte meine Stärke erkennen. Ich danke Paul Rebillot, den Urheber der Heldenreise, für diese einmalige Erfahrung.

times // change
Nun bin ich wieder hier, zuhause. Ich merke wie beide, Jezebel und Dämon, doch immer wieder tanzen wollen, wie sich eine Gegenüberstellung immer wieder lohnt. Wie ich neue Einsichten erlange und wie ich lerne. Ich übe jeden Tag Zeit und Veränderung zu synchronisieren, Bewegung im Einklang. Ich übe sie im Tanz, indem ich meinen Körper fliessend verändere, wie der Stoff des Seidenkleides. Ich weiß ich werde das ein oder andere mal etwas Hilfe benötigen, ein Pferd für die Bewegung, einen liebenden Menschen, eine helfende und heilende Hand. Ich bin endlich bereit diese Hilfe zu empfangen.

Es ist meine Zeit.